Ostsee by bike (26. bis 28. August)

Wenn das keine Überraschung war: Zum 60. Geburtstag von Kerstins Vater Bernd reisen wir mit unseren Fahrrädern nach Oldenburg und überreichen gemeinsam mit Kerstins Bruder Torsten das Geschenk: eine Tour über drei Tage entlang des Ostsee-Radwanderwegs von Kiel nach Lübeck. Etwa 260 Kilometer mit zwei Übernachtungen. Morgen geht’s los. Pack die Radlerhose ein.

 

Voller Tatendrang strampeln wir in Kiel los, bepackt mit allem, was man für drei Tage Überleben an der Küste braucht. Schon nach einem Kilometer muss Bernd sich von der Vorstellung verabschieden, dass die Ostseeküste ebenso plattes Land ist wie seine Nordsee. Nein, es geht drei Tage stetig bergauf und –ab. Das gepunktete Trikot des besten Bergkletterers wird Bernd nicht erreichen.

 

Gleichzeitig bekommen wir einen Vorgeschmack darauf, was wir erleben werden: Traumhafte Wege auf den Deichen, direkt am Meer, immer wieder Abstecher ins Landesinnere mit Wald und Wiese, soweit das Auge reicht. Dazwischen malerische holsteinische Gutshöfe. Seeluft, Sonne und Wind satt. Herrlich.

 

Gleich am ersten Tag passieren wir kleine Küstendörfer, die sich malerisch an die Deiche schmiegen. Sie haben Namen, die wir so noch nie gehört haben. Brasilien, dann Kalifornien, später auch ein Ostsee-Oldenburg. In jedem dritten Ort sagen wir: „Wow, hier machen wir mal ein paar Tage Urlaub.“

 

Das Wetter spielt am ersten Tag nicht bis zum Schluss mit. Kurz vor unserer ersten Station Hohwacht zieht sich der Himmel bedrohlich zusammen. „Das schaffen wir nicht mehr.“ Plötzlich die Rettung: zwei verschachtelte Blechcontainer mit Ruhrpott-Charme vor einem Campingplatz mit dem Schriftzug „Monis Imbiss“. Wir ahnen noch nicht, dass die Begegnung mit Moni eine der besonderen Art wird.

 

Als wir den Laden betreten wollen, legt die leicht untersetzte Dame demonstrativ und grußlos Sitzkissen für uns nach draußen in den beginnenden leichten Nieselregen. Botschaft: „Ihr kommt hier nicht rein.“ Gut, so schlimm das Wetter noch nicht, wir sitzen draußen. Dann will Markus mal bestellen.

„Haben Sie Cappuccino?“

„Hatten wir noch nie.“

„Gibt es einen Tee?“

„Es gibt hier nur, was da steht.“

Da steht eine Kanne Kaffee, seit Stunden auf einer Wärmeplatte. Daneben schwitzen ein halbes Hähnchen und schlabberige Backfische unter einer Kunststoffglocke vor sich hin.

 

Also gut, drei Kaffee.

„Haben Sie auch Süßstoff?“

Das war unvorsichtig. Markus weiß nicht wie, aber er hat Monis Blick überlebt. Die Situation spitzt sich aber noch einmal zu. Kerstin wagt es, nach dem Schlüssel für die Toilette zu fragen. „Die Toilette ist nur für Gäste“, blafft es in einem Ton der klingt wie von einer Kreuzung aus Rottweiler und Security bei einem Rammstein-Konzert. Bernd und Markus verkneifen die Frage nach dem Schlüssel – und alles andere auch.

 

Beeindruckt von soviel Ostsee-Gastlichkeit verlassen wir Moni leichten Herzens. Wieder auf dem Rad, meldet sich Markus Hintern: Der harte Sportsattel sieht zwar cool aus und ist für Touren bis zu einer Stunde bestens geeignet. Nach mittlerweile vier Stunden im Sattel fühlt es sich an wie der Ritt auf der Rasierklinge. Das Gefühl ist sein Begleiter der nächsten beiden Tage. Bernd und Kerstin haben gut Lachen: Ihre Sattel erinnern an Sofas, die sich per Knopfdruck in Fernsehsessel verwandeln können.

 

Endlich erreichen wir die erste Station. Etwas eingeschüchtert begrüßen wir die Vermieterin leise und freundlich. Frau Mahlkau ist nett, zeigt uns gleich die Zimmer. Das Klo für alle ist oben – und besetzt. Duschen können wir im Keller. Von der Werkstatt ihres Mannes trennt uns nur der Vorhang. So duschen wir schließlich zwischen Kartoffelkiste, Familienfotos und Lötkolben.

 

Die nächste Tagessetappe führt uns nach Heiligenhafen. Der Ort kommt uns vor wie geleckt. Der Sorte Touristen dort gefällt das. Bernd freut sich, dass auch er das Durchschnittsalter im Ort noch deutlich senken kann.

 

Wir bringen rasch das Gepäck in die Villa Daheim und radeln weiter auf die Insel Fehmarn. Die Überquerung der Fehmarnsund-Brücke mit dem Rad ist ein weiterer Höhepunkt unserer Reise. Der nächste Höhepunkt folgt am Abend. Am Hafen entdecken wir ein Fischrestaurant, das den Fisch direkt verarbeitet. Als Vorsuppe bestellen wir einen deftigen Fischeintopf. Aus dem Schwärmen kommen wir beim Löffeln nicht heraus „Beste Fischsuppe, die wir je gegessen haben.“ Und: Beste Fischsuppe der Ostsee, Deutschlands, der Welt….“

 

Die nächste Entdeckung folgt am Abend, als wir noch in einen Irisch Pub gehen – wobei der Gang von Markus mittlerweile an dem von Pierre Litbarski erinnert. Die Speisekarte preist Guinness mit Potwein an. Kann das schmecken? Und ob, es ist genau das Richtige nach 100 Kilometern im Sattel.

 

Nach einem schönen Frühstück in einer netten Pension radeln wir los. Besonders Markus startet befreit und voller Tatendrang. Kein Wunder: Er hat seinen Rucksack in der Pension stehen lassen. Also noch einmal kurz umdrehen und dann geht’s wirklich los. Wir wollten laut Plan 70 Kilometer radeln. Als die Strecke nicht aufhört, stellen wir fest, dass wir uns um 20 Kilometer verschätzt haben. Die Schlussetappe stellt sich als anspruchsvollstes Stück heraus. Wir spüren, dass wir schon zwei Tage gefahren sind. Froh und stolz kommen wir am Ende des Tages in Travemünde an, wo Torsten uns wieder einsammelt. Es ist doch schön, den Fahrradsattel gegen den Autositz zu tauschen.