Vietnam

Es fährt ein Zug nach...

... Sapa.

 

Die erste Tour führt uns in die Bergwelt nahe der chinesischen Grenze. Die einzig sinnvolle Verbindung ist der Nachtzug. Unser Schlafabteil atmet den sozialistischen Charme der 60er Jahre: braune Wände, brauner Boden, braunes Betttuch. So rumpeln wir los in Richtung Berge. Auch wieder eine Zeitreise. Gleich klopft ein Schaffner an unsere Abteiltür und fragt, ob wir noch eine Soljanka aus dem Mitropa-Speisewagen möchten. Morgens um 4.30 Uhr klopft es tatsächlich an unserer Abteiltür. Aufstehen! Früher als erwartet treffen wir an einem kleinen Bergbahnhof ein. Uns bietet sich eine skurrile Begrüßung. Der Bahnhofsvorplatz ist eine betonierte Fläche von der Größe eines Fußballfelds. In der Mitte steht ein zehn Meter hoher Pfahl mit einem Lautsprecher, aus dem mit voller Lautstärke asiatische Musik schrillt. Schon gut, wir sind ja wach.

 

Unser Bergführer und unser Fahrer nehmen uns in Empfang. Es ist stockdunkel, wir bekommen Frühstück am Straßenrand und haben keine Ahnung, wo wir sind. Schließlich zuckeln wir mit dem Geländewagen hoch in die Berge nach Sapa, auf eine Höhe von 1.500 Metern. Eine satte grüne Landschaft empfängt uns, gezeichnet von Reisterrassen. Noch bis 1990 war die Gegend von der Welt abgeschnitten. Unser Führer erzählt uns, dass die Bewohner erst jetzt dazu übergehen, ihre Kinder in die Schule zu schicken.

 

Heute platzt das Städtchen Sapa aus allen Nähten. Der Tourismus ist mit aller Wucht eingezogen. Hotels, Restaurants und Shops schießen aus dem Boden, der lokale Markt windet sich durch mehrere Straßen. Es ist interessant zu sehen, wie Sapa diesen Veränderungsprozess durchlebt. Der touristische Aufbruch vollzieht sich in den Bergen in einer schlichten und kargen Weise, als handele es sich um eine Mischung aus einem Bergdorf in Nepal und einer Goldgräberstadt im Wilden Westen.

 

Unmittelbar an unserem Hotel beginnt der Markt von Sapa. Hier decken sich die Einheimischen mit Lebensmitteln ein. Das Angebot fasziniert uns. Es gibt massenhaft Kräuter, Gemüse, Früchte und Fleisch. Skurril sind eingelegte Schlangen und Skorpione. Eine weitere Delikatesse: Fleisch von Hunden. Es ist kundenfreundlich vorbereitet. Das Fell ist abgezogen, die einzelnen Teile der Hunde liegen einschließlich der Köpfe zerteilt auf einem Teller und sind vorgekocht. Eigentlich muss man sich den Hund in der Mikrowelle nur noch einmal aufwärmen. Kaum zu glauben, dass wir im Küchenbereich des Markts nebenan am liebsten essen. Hier buhlen dutzende Miniküchen mit jeweils zwei Feuerstellen, einem Kindertisch und zwei Minibänken um Kunden. Irgendwo dazwischen stehen die Zutaten wie Fleisch, Kräuter und Gemüse offen herum. Zugegeben, das ist alles andere als hygienisch. Doch das Essen schmeckt unschlagbar frisch und lecker. Zum Beispiel hatten wir vorher keine Idee davon, wie großartig Frühlingsrollen schmecken können. Zum Trinken steht auf den Tischen eine Karaffe mit Wasser. Davon lassen wir aber die Finger und halten es wie die Menschen im Mittelalter in Deutschland: Schütz' dich vor Keimen und trink gebrautes Bier. Das vietnamesische Bier ist wirklich gut. Für zwei Gerichte mit zwei Flaschen Bier zahlen wir 2,70 Euro. Übrigens müssen wir keine Angst haben, dass uns Hund untergemischt wird. Die Delikatesse ist horrend teuer.

 

Bei einer Wanderung durch die Reisfelder in den Bergen schließen wir Bekanntschaft mit dem Volk der Hmong, einer der regionalen Minderheiten. Kaum hält der Wagen, sind wir von einer Traube Frauen umringt, die uns vor allen bestickte Taschen verkaufen wollen. Wir haben keinen Bedarf, doch so leicht geben sich die Hmong nicht geschlagen. Sieben Frauen gehen mit uns auf die Wanderung und preisen ihre Waren weiter an. Als auch das nicht hilft, drehen zwei um. Die anderen gehen zu Stufe zwei über und wollen unsere Freunde werden. "Where do you come from? What's your Name? How old are you?" Alle beherrschen ihr Verkaufsenglisch - Schreiben oder Lesen können sie wahrscheinlich nicht.

 

Bei unserem Touren durch das Bergstädtchen Sapa geraten wir auch in das Armenviertel. Es liegt an einem Hang, hindurch führen schmale Lehmwege, die rechts und links gesäumt sind von einfachen Bretterverschlägen. Wir wollen nicht gaffen, dennoch wird der Blick frei auf das Innere. Ein Schlafplatz mit Feuerstelle auf dem nackten Boden, an Licht oder Kanalisation nicht zu denken. Wie viel braucht ein Mensch zum Leben? Unmittelbar daneben preist ein Nobelhotel Spa und Wellness an, die Schilder rufen das förmlich ins Armenviertel hinein. Ist der gesellschaftliche Reichtum des Landes noch gerecht aufgeteilt?

 

Eine weitere Tour führt uns nach CocLy. Dort treibt jeden Dienstag der Volksstamm der Flower Hmong Handel. Das Treiben ist bunt im wörtlichen Sinn. Textilien werden in Bambushallen der Größe einer Dorfkirche verkauft. Die Einheimischen haben auch ihre kleinen Stände, an denen sie in ihren Trachten, selbst hergestellte Kleidung, Taschen und Tücher verkaufen. Ebenso können wir Schweinsköpfe, Hühner, Bananen oder Tabak aus dem Jutesack kaufen. Wer will, lässt sich die Haare schneiden. Benzin wird in grünen Glasflaschen verkauft. Es gibt auch selbstgebrannten Alkohol aus Plastikkanistern. Der Fusel hat 45 Prozent. Wie andere Asiaten vertragen auch die Vietnamesen nicht viel Alkohol. Männer, die davon mehr trinken als es gut ist, fallen anschließend schlafend in die Büsche. Unser Führer übersetzt das Gesöff mit "bad water".

 

Beim Schlendern durch die Marktstände finden wir schnell heraus, was wir besser lassen: Auf etwas zeigen. Nur eine Sekunde später wird das gesamte Sortiment vor uns ausgebreitet. Besser noch: Als Kerstin auf ein Kopftuch zeigt, wird es ihr gleich übergestülpt. Es sind durchweg schöne, handgearbeitete Stoffe. Kerstin schaut nach Schals und wird fündig. Dann beginnt das immer gleiche Spiel des Handelns. Die Verkäuferinnen tippen einen Preis in den Taschenrechner ein. Wir nehmen den Taschenrechner, tippen ein Drittel dieses Preises ein. Die Verkäuferin zeigt sich empört, geht noch zweimal mit dem Preis runter. Wir schütteln die Köpfe, gehen etwas höher. Die Verkäuferin signalisiert, dass sie nicht weiter runtergeht. Wenn wir uns dann schließlich umdrehen und gehen, ruft sie uns hinterher und verkauft zu unserem Preis. Als wir den Markt verlassen, kaufen wir noch eine kleine Staude mit circa 12 Bananen. Der Händler will umgerechnet 50 Cent - für alles. Da gibt es nichts zu handeln.

 

Für den Rückweg wechseln wir das Transportmittel. Die Hälfte des Weges fahren wir flussabwärts mit einem Boot. Es ist herrlich. In einer Gegend fernab der Zivilisation gleiten wir zwischen Berghängen aus sattem Grün, gesäumt von Bananenbäumen und tropischen Pflanzen, in Richtung unserer Station LaCoc, einer Grenzstadt zu China. Wir stoppen am Roten Fluss, der Grenze zu China, und werfen einen Blick auf die Hochhäuser im Nachbarland. LaCoc lebt vom Handel mit China. Die mit Waren aller Art vollgepackten Fahrradanhänger stauen sich mehrere hundert Meter vor dem Übergang. Der kleine Grenzverkehr funktioniert für beide Seiten ohne Probleme, nur weiter ins Landesinnere dürfen die Vietnamesen ohne Visum nicht. Kommunistische Bruderstaaten gehen anders miteinander um. Unserem Guide ist anzumerken, dass er über das Verhältnis zum großen Nachbarn nicht gerne spricht. Zu tief sitzt im Bewusstsein der Vietnamesen, dass China den Norden rund 1000 Jahre unterdrückt hat.

 

Zurück in Sapa entschließen wir uns zu einer kleinen Trekkingtour. Kerstin hatte am Abend zuvor eine Fußmassage, die gut getan hat. Überhaupt hat sie mit ihrem lädierten Fuß bislang prima durchgehalten. Wir wandern nach CatCat, einem Dorf inmitten einer geschützten Berglandschaft. Der Weg führt uns zu einer Staustufe und einem Wasserfall, entlang an zahlreichen Ständen mit "handicraft". Unten am Fluss begegnet uns eine malerische Szene an einem Bergfluss mit Hängebrücke. Andere Touristen sind hier nicht unterwegs, wir haben die Wasserfälle für uns allein. Allerdings haben wir nicht viel Zeit. Um 18 Uhr ist es stockdunkel in Vietnam, wir müssen uns beeilen, wenn wir noch bei Tageslicht aus dem Nationalpark raus ein wollen.

 

Der Morgen danach beginnt mit einer Nudelsuppe, dem typischen vietnamesischen Frühstück. In den Hotels haben wir morgens die Wahl zwischen Pancake, Toast mit Spiegelei, Baguette mit Marmelade und eben Nudelsuppe. Ganz landestypisch gewöhnen wir uns an das Suppenfrühstück und variieren zwischen Huhn, Schwein, Rind und Gemüse. Pünktlich zum Frühstück liegt Rauch in der Luft. Die Einheimischen entzünden morgens vor ihrem Haus ein Feuer, wenn sie schlecht geschlafen haben oder das Kind die gesamte Nacht geschrien hat. Dann wähnen sie einen bösen Geist in ihrem Haus, den sie mit dem Rauch des Feuers vertreiben.

 

Vietnam ist bekannt für günstigen Gold- und Silberschmuck. Unser erster Versuch, Trauringe zu kaufen, endet kläglich. In Vietnam trägt auch der Mann ein Steinchen an seinem Ring. Von diesem Angebot lässt Markus gern die Finger. Auch in puncto Silberschmuck wird's schwierig. Kerstin möchte eine Silberkette von der Stärke einer Maccharoni kaufen. In drei Läden wird hart verhandelt, doch das Spiel von einem Discount in Höhe von mehr als 50 Prozent funktioniert hier nicht. Das Silber hat den Wert, den die Grammwaage anzeigt. Und der hochwertige Silberschmuck wird nicht an Marktständen, sondern in ansprechenden Juwelierläden verkauft. Buchstäblich in letzter Sekunde vor unserer Abreise wird Kerstin sich mit einer Verkäuferin einig.

 

Am Nachmittag besuchen wir mit unserem Führer noch eine weitere Volksgruppe der Hmong. In diesem Dorf ist alles noch eine Spur ärmlicher. Wir sehen ausschließlich Holzhäuser und fühlen uns um zweihundert Jahre zurückversetzt. Sofort sind wir wieder von einem Schwarm kleinwüchsiger Frauen umringt, die uns folgen und etwas verkaufen wollen. Von außen muss diese Szene seltsam wirken. Kerstin und Markus inmitten einer Gruppe Frauen, die vielleicht 1,50 Meter messen. So gehen wir los, der Trachtenverein mit den Besuchern vom andern Stern.

 

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