Vietnam

Im Auge des Taifuns

Wir fahren dem Taifun, der Sturm und Starkregen bringen wird, Richtung Süden davon nach Ninh Binh. Während der Fahrt sehen wir einen Trauerzug und kommen mit unserem Führer Vi über buddhistische Bestattungsriten in Vietnam ins Gespräch. Er erzählt uns, dass die Toten zweimal bestattet werden. Zuerst in einem leichten Holzsarg. Grund: Nach fünf Jahren wird der Leichnam wieder ausgegraben. Das darf nur nachts passieren, da kein Sonnenstrahl den Leichnam treffen darf. Noch in der Nacht werden die Knochen von verbleibenden Anhaftungen gereinigt und in einen Steinsarg überführt, der dann schließlich beigesetzt wird.

 

Die Stadt Ninh Binh ist nicht schön, aber laut. Der Highway 1 führt mitten hindurch, Umgehungsstraßen gibt es im gesamten Land keine. Wir bleiben fasziniert von den Märkten, den fremden Kräutern, Früchten, Gemüsearten, aber auch den verstörenden Eindrücken, die eine fremde Kultur mitbringt. Davon gibt es in Ninh Binh einiges zu erleben, da die Märkte ländlicher sind als in Hanoi. Entsprechend brutaler ist das Angebot an Kreaturen aller Art, die zusammengebunden in Käfigen oder Wasserschalen ihrem Ende entgegensehen. Hühnern wird an Ort und Stelle der Kopf mit einem Stein eingeschlagen, bevor sie gerupft werden. Krebse, Frösche oder Gänse sind einfach zusammengeschnürt, das spart Platz. Und Fröschen wird bei lebendigem Leib die Haut abgezogen.

 

In der Stadt sind wir wieder eine Attraktion. Jedes Kind ruft uns "hello" zu und freut sich des Lebens. Einige Erwachsene tun das auch, stolz darauf, ein Wort in unserer Sprachen zu sprechen. Die Kehrseite ist, dass wieder niemand Englisch spricht. So geht es uns auch beim Abendessen. Wir setzen uns wieder auf den Bürgersteig an eine Straßenküche und lassen uns überraschen. Es gibt Nudelsuppe mit Kräutern und frischen Tomaten.

 

Zurück im Hotel. Unter unserem Fenster wird eine Beerdigung mit traditioneller Musik begangen. Die Musik klingt so, als ob man Tische über einen Fliesenboden schiebt. Dazu tröten stundenlang Flöten wie von Schlangenbeschwörern und dumpfe Dschungeltrommeln. Eine Art kultischer Gesang wird über Lautsprecher verstärkt. Alles zusammen entwickelt eine unglaubliche Lautstärke, die durch die gesamte Altstadt hallt. An Schlaf ist nicht zu denken. Gegen 22 Uhr dann hört die Musik auf - um morgens um 5.30 Uhr wieder einzusetzen. Der Kulturwecker ruft: Aufstehen!

 

Unser Hotelzimmer ist sauber mit vernünftigem Bad, wogegen unser Frühstücksraum einen eigentümlichen Flair versprüht. Die mannshohen Vitrinen stehen voll mit Glasflacons der Größe von Bierfässern. Darin in Alkohol eingelassen richten sich Giftschlangen bedrohlich auf, das Maul zum Biss aufgerissen, die gespaltene Zunge weit ausgestreckt. Regt das den Appetit an? Tatsächlich haben wir kleinere Flaschen mit Schlangen oder Skorpionen in Alkohol schon häufiger auf Märkten gesehen. Ältere Vietnamesen trinken daraus, damit ihnen die Manneskraft erhalten bleibt.

 

Unser geplantes Programm können wir aufgrund des Taifuns vergessen. Nicht ganz. Es wäre eine herbe Enttäuschung, wenn wir die trockene Halongbucht nicht sehen können. Wir lassen uns am frühen Morgen zu der Station bringen, an der die Boote ankern, auf denen die Touristen durch die Bucht gerudert werden. Es regnet heftig und der Wind frischt auf. Dennoch finden sich zwei Ruderer, die mit uns die etwa sechs Kilometer durch die Bucht rudern. Wir kaufen zwei Regencapes und los geht's.

 

Während die Einheimischen zu frieren beginnen, empfinden wir die Temperaturen als warm und angenehm, auch wenn der Regen uns rasch durchweicht. Die Bootstour lohnt sich. In der trockenen Halongbucht finden sich die gleichen Gesteinsformationen wie in der Halongbucht, nur größer und massierter. Die Felsen lassen nur Platz für ein Rinnsal, auf dem die Ruderboote fahren. So gleiten wir dahin, eingerahmt von grün bewachsenen Steilwänden, getragen von einem dichten Teppich aus Wasserpflanzen. Eigentlich fahren die Boote mit den Touristen wie an einer Schnur gezogen auf und ab. An diesem Tag haben wir die gesamte Trockene Halongbucht nur für uns. Leider können wir kaum fotografieren, aus Angst, dass die Elektronik feucht wird. Das Wasser ist so warm, dass wir die aufsteigende Wärme im Boot spüren können. Um gegen den Wind anzukommen, paddelt Markus von Anfang an mit. Zurück an der Anlegestelle erfahren wir, dass wir das einzige und letzte Boot waren. Der Regen wird zu heftig, der Betrieb zu gefährlich und eingestellt. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Der Taifun hat seine Richtung geändert und rast auf uns zu. Wieder haben wir Glück.

 

Derart durchgeweicht probieren wir anschließend eine vietnamesische Massage in Kombination mit einer Dampfsauna aus. Anstelle einer Paarmassage wird jeder von uns in einen eigenen Raum geführt, der vom Ambiente her an ein Hospital der deutschen Kaiserzeit erinnert. Fliesen, eine Liege, kahle kalte Wände. In der Ecke steht ein mit Edelstahlprofilen eingefasster Glaskasten mit Kunststoffstuhl drin - die Dampfsauna. Als die Tür verschlossen wird, beschleicht uns beide das Gefühl von Eingeschlossensein. Das verstärkt sich, als aus einem Stahlrohr von der Größe eines Eimers, das mit Kräutern vollgestopft ist, heißer Wasserdampf strömt. Binnen kurzer Zeit wird es in der Kabine unerträglich heiß. Beide sind wir heiße Saunagänge gewohnt, aber das übertrifft alles bislang Erlebte. Es riecht intensiv nach Kräutern, das ist noch angenehm. Aber diese Hitze! Markus kauert sich in der Kabine zusammen und hat Fluchtgedanken, setzt aber alles daran, es auszuhalten. Nach etwa 15 Minuten lässt der Dampf nach. Gar gekocht wie ein Broccoli verlässt er den Schneewittchensarg. Die Masseurin zeigt Markus, in die Sprudelwanne einzusteigen. Mit einem Schwamm wäscht sie ihm die Haare und schrubbt ihn von oben bis unten ab. Weiter geht's auf die Massagebank, wo er mit einer asiatischen Methode weichgeklopft wird. Die zierliche Person hat den Griff eines Wrestling-Champions und greift sich Muskeln, Bänder und Gelenke. Stößt sie auf eine Stelle im Muskel, die verhärtet ist, geht es noch einmal richtig zur Sache. Die Behandlung steigert sich, bis sie am Ende mit beiden Beinen auf dem Rücken und den Oberschenkeln steht. Froh und fertig sind wir nach der Prozedur, fühlen uns gut.

 

Das prägende Ereignis des Tages ist und bleibt der Taifun. Er rast auf dem indischen Ozean direkt auf unseren Standort zu. Sieben Taifune hat Vietnam im Jahr 2012 bereits erlebt, dieser hier ist der heftigste. Erst ereichen uns die Ausläufer, bis zum Abend nimmt die Stärke immer mehr zu. Schon am Vortag haben wir hektische Ernteaktivitäten in den Reisfeldern beobachtet. Wenn der Taifun kommt, drückt er die Reispflanzen ins Wasser, die dann vernichtet sind. Ein herber Schlag für die ohnehin armen Reisbauern.

 

Wir können diesmal abends nicht einschlafen, weil es draußen derart laut stürmt, wie wir es noch nie erlebt haben. Gegenstände werden durch die Luft geschleudert und an die Fassaden geschmettert. Wir haben Angst, dass der Sturm unsere Fenster aus der Wand presst. Dazu trommelt Starkregen an die dünnen Scheiben. Dieses direkte Erleben von Naturgewalt flößt uns Angst ein. Gemeinsam mit anderen Hotelgästen harren wir der Dinge im Restaurant, fühlen uns gefangen. Die Mitarbeiter des Hotels bereiten uns darauf vor, dass die regionale Regierung in der Nacht aus Sicherheitsgründen den Strom abschalten wird. Auch ohne Abschalten gibt es mehrfach Stromausfälle.

 

Am nächsten Morgen bietet sich uns ein Bild der Verwüstung. Die Straßen sind übersät mit Ästen, Werbetafeln liegen herum, die Straßen sind ausgewaschen. Ein Bus liegt auf der Seite, die Fundamente der überdimensionalen Plakatträger sind aus der Erde gerissen. Ein schwimmendes Dorf, das wir zwei Tage zuvor in der Halongbucht gesehen haben, wurde vollständig vernichtet. 40 Menschen werden vermisst, dazu sind zahlreiche Fischerboote nicht zurückgekommen. Sie wurden überrascht, da der Taifun unvermittelt seine Richtung geändert hat.

 

Alles wirkt, als habe der Starkregen die Lebensfreude der Menschen mit weggewaschen. Alle sind damit beschäftigt, die Schäden zu reparieren. Wir fühlen mit den Menschen und verzichten darauf, Bilder von den Schäden und Szenen zu machen. Das gebietet der Anstand gegenüber den Menschen, die vielleicht alles verloren haben.

 

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