Vietnam

Zehn kleine Schneiderlein

Bislang hat Vietnam uns das Gefühl gegeben, dass wir Natur und Kultur nur mit wenigen westlichen Touristen teilen. Doch dann erreichen wir die Stadtgrenze von HoiAn. Diese Kleinstadt ist einer der Touristen-Hot-Spots schlechthin in Vietnam. Die gesamte Altstadt stammt aus dem 16. Jahrhundert. Die zweistöckigen Häuser chinesischer Bauart bestehen aus massiven Balkenkonstruktionen und werden durch mehrere Tempelanlagen ergänzt. Da die Stadt jährlich überflutet wird, hat jedes Haus eine Art Rettungsluke, durch die das gesamte Hab und Gut ins obere Geschoß gerettet wird, wenn das Wasser kommt.

 

Die Altstadt ist einzigartig und Unesco Weltkulturerbe. Traurige Wahrheit aber ist: Wegen der Häuser kommt kaum jemand nach HoiAn. Die Kleinstadt ist das Zentrum des Schneiderhandwerks schlechthin. In den wenigen Gassen ballen sich etwa 300 Schneidergeschäfte. HoiAn ist ein Synonym für edle Seide und feine Stoffe. An nur einem Tag bekommt der Besucher aus bestem Material für wenig Geld maßgeschneidert, was das Herz begehrt: Anzüge, Mäntel, Kleider. . .

 

Dan schleppt uns als erstes zu einem Freund, der natürlich der beste Schneider des Ortes ist. Wir sollen sagen, dass wir keine Touristen sind, sondern Freunde aus Deutschland, die er im Internet kennengelernt hat. An dieser Stelle müssen wir aufgrund von soviel Naivität dann doch lachen. Am Ende sollten wir aber feststellen, das der Laden zwar nicht besonders günstig ist, aber eine Top-Qualität bietet. Wir stürzen uns ins Getümmel, Seide über Seide, Stoffe über Stoffe. Kerstins Augen leuchten. Noch am Abend wird Maß genommen für zwei Seidenblusen. Der nächste Tag beginnt mit einer Stadtführung und einer Radtour zu einer Gemüsefarm, wo wir traditionellen Gemüseanbau und im Rahmen eines Kochkurses die Zubereitung von vietnamesischen Pancakes und Frühlingsrollen lernen.

 

Nachmittag und Abend gehören dann ganz den Stoffen. Die erste Anprobe der Blusen ist ein voller Erfolg. Kerstin bestellt gleich die nächste Bluse, ihre Maße liegen ja vor. Auf der gleichen Straße haben wir am Vorabend bereits einen Goldschmied entdeckt, der uns durch wirklich ansprechende Kollektionen aufgefallen ist. Wir greifen das Thema Hochzeitsringe wieder auf. Unsere Eingangsfrage: Könnt ihr unsere Wunschringe aus Weißgold an diesem Nachmittag fertigen? Nach intensiver Verhandlung einigen wir uns über Gewicht, Form, Stein und Preis. Danach bricht Hektik in der Werkstatt aus, die sich unmittelbar hinter der Ladentheke befindet. Wir erleben noch mit, wie die Anfertigung unserer Ringe beginnt.

 

Die Erkundung geht weiter. Markus spielt mit dem Gedanken, eine elfenbeinfarbig-gemusterte Fliege samt Einstecktuch zur Hochzeit zu tragen. Den speziellen Stoff finden wir schließlich in der Markthalle, die hunderte Händler bis unter die Decke mit ihren Stoffen vollstapeln. Auch hier sitzen Frauen an Nähmaschinen. Es sind die Frauen, die nicht das Glück hatten, mit einem durchgestylten Shop reich zu werden. Als wir den Auftrag formulieren, muss erst einmal jemand geholt werden, der einige Brocken Englisch versteht. Die Augen der verdutzten Näherin fragen: Was genau wollt ihr? In einem der vielen Kataloge finden wir eine Art James Bond Modell und zeigen darauf. Aha. Die Näherin prägt sich die Form ein. Spätestens in diesem Moment war klar, dass für die vereinbarten fünf Dollar kein Ergebnis rauskommen kann. Der Näherin stehen Einfachheit und Armut ins Gesicht geschrieben. Eine Fliege zur festlichen Abendgarderobe hat mit ihrem Leben etwa soviel zu tun wie Beachvolleyball mit Eskimos. Doch wir lassen den Auftrag stehen; die Näherin soll die 5 Dollar verdienen. Zweieinhalb Stunden später holen wir das gute Stück ab: Die Form einer Fliege wurde zweifach ausgeschnitten und zusammengenäht. Da dran ist ein Halsband genäht, das im Nacken mit einem Druckknopf schließt. Kerstin sieht sich schon auf der Flucht, sollte Markus so das Standesamt betreten. Er sagt zur Schneiderin: "Gut geworden, danke."

 

Mittlerweile folgen wir einem straffen Zeitregime. Um 18 Uhr Fliege und Einstecktuch abholen, erstes Anpassen der neuen Bluse, Abnahme der anderen Blusen, erstes Anstecken der Ringe. Um 20.30 Uhr drehen wir die nächste Runde. Zwischenzeitlich entdeckt Kerstin bei einem weiteren Schneider ein Abendkleid, wie sie es sich gewünscht hat. Das Probekleid sieht toll an ihr aus, ist natürlich - wie alles für uns in Vietnam - zu klein. Die Zeit bis zu unserer Abreise reicht nicht, um ein neues Kleid zu schneidern. Schade. Aber die Schneiderinnen sind um keine Lösung verlegen. Der Vorschlag: Drei Tage später sind wir in Saigon. Da wohnt der Bruder, der das Kleid dann ins Hotel bringt. Wir zögern, aus drei Gründen:

1. Das Geld müssen wir komplett vorstrecken.

2. Eine Möglichkeit zum Anpassen haben wir nicht.

3. Vielleicht gibt es gar keinen Bruder in Saigon.

Kerstin geht das Risiko ein. Da nun ohnehin ein Paket nach Saigon geht, gibt Markus noch ein Sakko in Auftrag. Am späten Abend dann das Finale. Die Blusen sind klasse, unsere Hochzeitsringe nach kleineren Änderungen auch. Dieses Shoppingerlebnis war wirklich individuell.

 

Die Kehrseite ist, dass wir unser Hotel kaum genießen können. Es liegt abseits der Stadt direkt am Flussufer und ist angelegt wie eine afrikanisch-japanische Nobellodge. Wir haben eine Außendusche und -wanne, der Hof besteht aus einem Schwimmbecken und einer Pagode für Frühstück und Relax, umrundet von einem Koiteich, alles in Marmor eingefasst. Zwischen der asiatischen Bedienung und Markus kommt es aber zum Clash der Kulturen. Nachdem wir knapp zehn Minuten am Tisch sitzen, ohne wenigstens gefragt zu werden, ob wir Kaffee oder Tee möchten, geht Markus zur Rezeption und bedeutet auf seine Art, dass wir bereit wären. Dann kommt es bei der Bestellung fürs Frühstück zu einem Missverständnis, als Markus eine Suppe bestellt, die es gar nicht gibt. Die Frau traut sich nun nicht mehr, Markus zu sagen, dass Suppe nicht möglich ist, guckt ihn an - und beginnt zu heulen. Als sie den Kaffee bringt, macht sie einen zweiten Anlauf, doch wieder treibt ihr Markus' Anblick das Wasser in die Augen. Keine Ahnung was los ist, bis schließlich die Betreiberin der Anlage an unseren Tisch kommt und erklärt, dass es keine Suppe, sondern Rührei und Pancake. Beides serviert sie anschließend auch selbst.

 

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