Südafrika

Es steht ein Kudu vor der Tür

Am nächsten Tag geht’s früh los. Die längste Etappe mit mehr als 500 Kilometern wartet. Wir fahren quer durchs Zululand. Das stolze Volk hat zwei Jahrhunderte für Freiheit und Unabhängigkeit gekämpft. In diesem weiten Landstrich begegnen uns kaum noch weiße Südafrikaner. Alles scheint gut organisiert. Keine Townships, dafür immer wieder Dörfer mit Rundhütten, Ackerbau und Viehzucht, und immer wieder Schulen. An den Straßen, die zur Fußball-WM fertig sein sollten, wird gebaut.

 

Unsere Lodge, das Drifters-Inn, liegt inmitten eines kleinen Reservats mit ungefährlichen Tieren. Wir sind - wie so oft - die einzigen Gäste. Nach sieben Stunden im Auto freuen wir uns auf einen Spaziergang. Nur wenige Meter und wir treffen wir auf unsere ersten Zebras und Antilopen. Schöne Momente. Doch auf dem Rückweg zur Lodge baut sich vor uns plötzlich ein Kudu auf. Das wilde Tier erreicht mit Geweih eine Größe von mehr als drei Metern. Hinter uns eine Herde von Zebras, vor uns mittlerweile drei Kudus. Eingekeilt. Kein schöner Moment. Wir starren das Front-Kudu an, das Tier starrt uns an. Doch es ist scheu und flüchtet vor zwei kläffenden Hunden. Auch wir nehmen schnell den Nebenweg zurück zur Lodge.

 

Nach einer Nacht mit einem heftigen Gewitter, bei dem kleine Echsen und große Käfer Zuflucht in unserem Flur suchen, steuern wir am Morgen den Hluwhluwe-Umfolozi Nationalpark an. Gespannt schleichen wir mit dem Auto über die Schotterwege – und sehen erst einmal nichts. Überall nur Sträucher, Hügel, Sträucher. Umso größer das Aha-Erlebnis, als wir unvermittelt auf eine Giraffen-Herde treffen, begleitet von Zebras. Wir sind so nah’ an den Tieren, dass wir hören, wie sie schnaufen, an den Ästen knabbern, wie es knirscht, wenn sich die Hufen in den Boden drücken. Im Auto riecht’s nach Giraffe. Wie gebannt beobachten wir jede Regung. Auch wir werden beobachtet. Sind wir hier in einem Film? Oder im Zoo? Nein, alles real. Den Tieren begegnen im natürlichen Lebensraum. Die Tiere wirken kräftiger und anmutiger, das Fell satter, edler und glänzender, als wir es je in einem Zoo sehen werden. Deutlich bleibt das das Gefühl, dass nicht wir hierher gehören, sondern die Tiere. Gäbe es eine Rangordnung der Lebewesen, hier würden wir uns voller Demut unterordnen.

 

Das nächste Erlebnis folgt an einer Biegung. Wir treffen auf eine Büffelherde, die sich in einem Wasserloch suhlt. Motor aus. Fast eine Stunde verfolgen wir das Treiben. Wir stehen mitten in der Herde, können weder vor noch zurück. Im Loch geht es zu wie in einem überfüllten türkischen Dampfbad. Will ein starker Bulle in den Schlamm, muss ein schwächerer das Weite suchen. Als wir später auch Nashörnern begegnen, darunter neben den Breit- auch den seltenen Spitzmaul-Nashörnern, ist der Tag perfekt. So viele Eindrücke haben wir nicht erwartet.

 

Auf der Rückfahrt zur Logde queren wir die Stadt Hluwhluwe. Bislang haben wir es vermieden, doch jetzt trauen wir uns – und besuchen erstmals einen Markt der Schwarzafrikaner. Es gibt Früchte, Obst und Gemüse, Bekleidung und Werkzeug, nichts für Touristen. Es ist voll, aber es wird nur wenig gekauft.

 

*** Story of the day: Wer ist hier das Abendessen?

Abends gehen wir zum Abendessen in ein benachbartes privates Nobel-Reservat. Wir erleben einen Abend wie im Reiseprospekt. Ein tolles afrikanische Menü bei Kerzenschein an einem schön gedeckten Tisch auf der hölzernen Außenveranda. Es zirpt und raschelt in den Büschen. Wir haben eine Bedienung für uns allein. 

Was wir nicht ahnen: Wir sind der lebensgefährlichsten Situation unserer gesamten Reise nur knapp entgangen. Unsere Gastgeberin hat uns im Dunkeln zu Fuß mit der Taschenlampe losgeschickt. „Es sind nur zwei Kilometer.“ Der Schotterweg zum Reservat ist schon unheimlich. Am hoch gesicherten Eingang des privaten Reservats klingeln wir an der Sprechanlage. Eine junge Frauenstimme ist überrascht, dass wir zu Fuß da sind. Nun könnten wir auch zu Fuß durch den Park marschieren. Sie hätte ohne Bedenken das elektrische Tor geöffnet. „But be aware of hippos and buffalos.“ Wir wollen aber keinen großen wilden Tieren in der Dunkelheit begegnen. “Okay, wait a minute, I will ask a ranger.” Nach zehn Minuten holt uns ein Ranger ab. Das war vielleicht das größte Glück unseres Lebens. Er erzählt uns erst beiläufig, dass Flusspferde nachts an Land zum Fressen kommen und extrem aggressiv sind. Und Tage später erfahren wir, dass die meisten Menschen, die in Südafrika von wilden Tieren getötet werden, Opfer von Flusspferden sind. Auch wir hätten den Spaziergang wahrscheinlich nicht überlebt.

 

Weiter zu "In einem Land vor unserer Zeit"