Südafrika

In einem Land vor unserer Zeit

Die nächsten beiden Tage verbringen wir in einem anderen Staat, dem Königreich Swaziland. Dieser Kleinstaat liegt inmitten von Südafrika. Darum wird sich nichts ändern, dachten wir. Weit gefehlt. Wir reisen in eine andere Welt.

 

Den ersten Hinweis gibt der Weg zur Grenze: Die Autobahnabfahrt führt direkt auf einen rumpeligen Feldweg. Wir zuckeln zwischen Mais- und Zuckerrohrfeldern Richtung Swaziland. „Geht’s hier wirklich zum Übergang?“ Tatsächlich: Wir nähern uns einem hohen Metallzaun, davor und dahinter je eine weiße Holzbaracke im Staub. Die Grenze! Der südafrikanische Grenzbeamte lässt uns die Koffer öffnen und betrachtet gelangweilt die Wäsche. Wir holen uns den Ausreisestempel, dann geht’s auf die andere Seite. Schon die Baracke wirkt innen ärmlicher, ein muffiger Geruch schlägt uns entgegen. An den Wänden große Plakate der UNO, die vor Aids warnen und Mädchen auffordern, erst die Schule zu beenden, dann schwanger zu werden.

 

Der Eindruck, in einem Entwicklungsland zu sein, begleitet uns die nächsten Tage. In Swaziland gibt es eine Teerstraße. Die fahren wir, auch wenn es ein Umweg ist. Alles, was wir sehen, wirkt plötzlich noch primitiver, als wir es in aus Südafrika kennen. Die Hütten einfacher, die Strommasten umgekippt, kaum weitere Autos auf der Straße. Wir sind aber fasziniert, wollen Swaziland näher kennenlernen. In Manzini, der größten Stadt, fahren wir ab und halten im Zentrum. Es ist Markttag. Ein unglaubliches Gewusel. Laut, überfüllt, heiß. Wir trauen uns in die Menge – als die einzigen Weißen zwischen tausenden Schwarzafrikanern. Wir haben uns im Leben noch nie so anders gefühlt. Zu unserer weißen Hautfarbe überragen wir mit Körpergrößen von 1,80m und 1,93m alle Einheimischen um mindestens einen Kopf. Wir wirken wie Störche in einer Raben-Kolonie. Jeder, wirklich jeder, starrt uns an. „Was haben die hier zu suchen?“ Wir werden angesprochen, angefasst, Witze werden gemacht. Uns ist mulmig. Zwar gäbe es 100 tolle Motive für Fotos, doch wir verzichten auf die letzte Touri-Attitüde und holen die Kamera nur für zwei hastige Schnappschüsse aus der Tasche. Im Supermarkt kaufen wir rasch noch einige Lebensmittel. Schwierig auch das. Statt Grillfleisch bietet der Spar-Markt abgehackte Hühnerfüße.

 

Auf zum Camp im Hlane Nationalpark. Ein schönes, ursprüngliches Camp mit einem Zeltplatz und Rundhütten. Als wir unser Rondavel beziehen stellen wir fest, dass für die Beleuchtung Kerzen und Petroleumlampen bereitstehen. Uns schießen gleichzeitig zwei Gedanken in den Kopf:

 

1. Das ist ja romantisch, aber

2. Kein Strom, kein Kühlschrank. Und unsere Lebensmittel?

 

In der Gemeinschaftsküche stellen wir fest, was es außerdem nicht gibt: Teller, Töpfe, Besteck, … Später sehen wir, dass die Bügeleisen der Putzfrauen mit glühenden Kohlen befüllt werden. Technisch sind wir zurück in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. So behelfen wir uns zwei Tage lang mit Taschenmessern und Styropor-Schälchen. Zwischen zwei Gewittern schaffen wir es am ersten Abend sogar, unser mühsam ergattertes Hühnerfleisch im Schein einer Petroleumlampe zu grillen.

 

Tags drauf fällt die Tour durch den Park ins Wasser. Die Straßen im Nationalpark sind kaum befestigt und nach den Gewittern nicht befahrbar. Gern hätten wir auch mit einem Ranger eine Mountainbike Tour unternommen. Auch das geht nicht. Wir fahren stattdessen in einen benachbarten, unscheinbaren Nationalpark. Wir würden uns gern bewegen und dort gibt es einen Wanderweg. Mit einem schlecht kopierten Blatt Papier von der Rezeption suchen wir mit dem Wagen die Wanderroute. Keine Schilder, keine ausgetretenen Pfade. Schließlich stellen wir den Wagen in der Wildnis ab und marschieren auf eigene Faust los – geradewegs zu auf eines unserer intensivsten Erlebnisse der gesamten Reise. Nach 200 Metern hören wir es im Busch laut rascheln. Schutzlos in der Wildnis bekommen wir einen Schreck. Und plötzlich kreuzt unmittelbar vor uns eine Giraffe den Weg. Wir halten die Luft an. Dann eine weitere Giraffe, Zebras, noch mehr Giraffen. Wir stehen da, angewurzelt, den Mund offen, wagen es nicht zu sprechen, nur zu flüstern. Während die Zebras flüchten, bleiben die Giraffen und fressen Blätter von den Bäumen. Abwechselnd behält uns eine Giraffe im Blick. Und so stehen wir da, inmitten der Bäume, Auge in Auge mit einer kleinen Herde Giraffen. Zwischen uns Interaktion. Jede Bewegung wird registriert, gemustert, beobachtet. Zum ersten Mal werden wir von den Tieren als einzelne Individuen wahrgenommen, nicht als rollende Blechbox. Ein faszinierende Situation, aus der wir uns lange nicht lösen können. Schließlich schleichen wir auf leisen Pfoten zurück zum Auto. Die Frage, welche wilden Tiere uns noch begegnen könnten, stellen wir besser nicht.

 

*** Story of the day: Hippo watching

Unser Camp liegt direkt an einem Wasserloch mit Nilpferden und Krokodilen darin – gesichert nur durch einen zwei Drähte, der erste auf Höhe von ca. 0,80 m. Für Krokodile also kein wirkliches Hindernis. Stundenlang könnten wir das Treiben der Nilpferde beobachten, so einen Spaß haben wir daran. Mit den Nilpferden wollen wir den Tag ausklingen lassen. Statt der Holzbank ohne Lehne holen wir uns Relax-Stühle aus Kunststoff an den Zaun. Dazu haben wir eine Tüte Chips, eine Flasche Wein, den wir aus Zahnputzgläsern trinken. Uns ist klar: Ein schönes Bild geben wir nicht ab. Wir sitzen da wie Safari-Penner. Dazu merken wir, wie sich die Blicke der anderen Camp-Gäste förmlich in uns bohren. Die denken bestimmt: „Die asozialen Deutschen können sich hier alles rausnehmen.“ Aber weit gefehlt. Kurze Zeit später knistert es links von uns, rechts von uns macht es plopp. Andere Gäste folgen unserem Beispiel und starten ihre Tierbeobachtung mit Wein und Knabberkram. Offensichtlich haben wir eine völlig neue Form der Pirsch nach wilden Tieren erfunden. Vielleicht – so unsere Überlegung – sollten wir dem Tourismusminister von Swaziland einen Verbesserungsvorschlag senden.

 

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